2. November 2024
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Der Friedrichshainer Geschichtsverein erinnert an die unvollendeten Revolutionen vom 18. März 1848 und 9. November 1918. Nachdem die Sozialdemokratie die Novemberrevolution nicht mehr verhindern konnte, setzte sie sich mit Friedrich Ebert und Gustav Noske an die Spitze und erstickte die Revolution im Blut hunderter Arbeiter. Die Forderungen beider Revolutionen nach Freiheit der Arbeit, des Wortes, der Bildung, der Nahrung, der Volksbewaffnung, des Wohnens und der Enteignung des großen Kapitals sind bis heute unerfüllt, aber inzwischen der wohlhabenden Mehrheit der Deutschen völlig egal.
Am 9. November 2024 jährt sich die Novemberrevolution von 1918. Ein Teil der Opfer ist auf dem Friedhof der Märzgefallenen begraben. Als Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht nach ihrer Ermordung durch die Freikorps der SPD ebenfalls hier bestattet werden sollten, wurde dies verhindert.
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25. Juli 2024
Das letzte DDR-Emblem im öffentlichen Raum Berlins hat sich in Friedrichshain bis heute erhalten.
Wer den Ort (Straße) dieses DDR-Emblems unter Hans.Kohlhase@gmx.de nennen kann, erhält den neuen Friedrichshainer Geschichtskalender 2025 gratis.
Bedingung: Nur an Friedrichshainer Adresse Lieferung. Nur die ersten fünf Meldungen werden berücksichtigt. Ausschluss des Rechtsweges.
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Woker Populismus um das SEZ
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SEZ, 1985
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Am 1. Oktober 2024 wurde das Sport- und Erholungszentrum SEZ an der Landsberger Allee zwangsgeräumt, um dem Eigentümer, der Stadt Berlin, Zutritt zu seiner Immobilie zu verschaffen und den Abriss des Gebäudes vorzubereiten. Na und?
Im Jahr 2003 wurde das SEZ vom Senat für 1 Euro an einen Privatmann verkauft. Damals schon musste den Friedrichshainern klar sein, dass der Weg in den Untergang nicht mehr aufzuhalten ist. Mehr als 20 Jahre später wollen Wichtigtuer, Aktionisten und Schwadroneure den gesunden Menschenverstand überlisten und das über dem Abgrund hängende SEZ zur Bühne ihres lobbyistischen Kultur- und Freiheitskampfes machen. Politik verkommt zu einem nostalgischen Gefühl und nennt sich aus vorgeblich gemeinnützigen Gründen Alternative.
Unter denen, die 2024 das SEZ retten wollen, befinden sich zynischerweise Vertreter jener Partei, die es vor 21 Jahren aus dem Stadthaushalt entfernten, also hauptverantwortlich für den heutigen Zustand des SEZ sind: Die Linke. Diese Partei (damals PDS) hat 2001 bis 2003 eine kapitalistische Privatisierungspolitik gegen Mietwohnungen und gegen das SEZ betrieben und wundert sich zwei Jahrzehnte später über deren Ergebnisse.
Populisten, von Autoren der „Berliner Zeitung“ bis zu Gregor Gysi, machen aus einem alten Hut des längst geplanten SEZ-Abrisses eine sensationelle Nachricht. Der Osten wird mit professioneller Empathie von jenen gestreichelt, die ihn dahin gebracht haben, wo er jetzt steht, mitten im Kapitalismus. Das SEZ ist heute nicht mehr zu retten, wer dies vorschlägt, betreibt eine reaktionäre und keine progressive Politik. Schlechtem Geld schmeißt man kein gutes Geld hinterher.
Zugleich richtet sich der vom Senat geplante Neubau an seiner Stelle gegen die Wohn-, Miet- und Lebensinteressen der heutigen Einwohner Friedrichshains, denn Verkehr, Verdichtung und Mieten werden durch einen Abriss mit nachfolgendem Wohnungsneubau unweigerlich ansteigen. Die Linke, die den Abriss des SEZ förderte, einen Neubau an seiner Stelle plante, fordert jetzt verrückterweise den Erhalt des SEZ. Derartige Forderungen dienen wohl nicht dem SEZ, sondern der politischen Vergesslichkeit und Verblödung.
Von der DDR-Freizeitpolitik zur Ost-Mentalität
Als das SEZ am 20. März 1981 von Erich Honecker den lieben DDR-Bürgern geschenkt wurde, freuten sich diese riesig über das erste Wellenbad in der Doppel-Stadt, denn so etwas existierte nicht einmal in Westberlin. Das SEZ war die Banane, die es nun nicht nur zu Weihnachten gab. Das lange Zeit modernste Freizeitbad und multifunktionale Sportzentrum Berlins konnten sich international sehen lassen. „International“, das hieß in der DDR immer, dass der erste Blick in den Westen geht. Er bestimmte, was Trend ist, was den Ossis gefällt, wie sie eigentlich leben wollen, bereits vor der Maueröffnung. Konsumtotalitarismus kennt keine Grenzen. Wellenbäder, Kunstschnee-Pisten, überdachte Stadien, Sessellift-Trassen, Kunsteisbahnen, Kreuzfahrtschiffe, Globaltourismus, schlicht „Reisefreiheit“, wurden zu Sehnsuchtsorten einer deutschen Freiheit, die sich weder von der Mauer noch vom CO2-Ausstoß aufhalten ließ.
1990 kam dann der Westen in den Osten, weil den DDR-Bürgern ein Freizeitbad nicht mehr genügte. Sie wollten auch Mercedes, Mallorca, Ganzjahrestomaten, Plastiktüten und Westgeld. Die Ossis brauchten ein Jahrzehnt, bis sie kapiert hatten, dass Westgeld auch bedeutet, zu arbeiten, zu denken, zu leben, zu Mietpreisen zu wohnen und wählen zu gehen wie im Westen.
Für das SEZ bedeutete der Kapitalismus zunächst einen Zahlungsausfall, woher sollten die jährlichen Millionen DM/Euro zum Unterhalt dieses spaßig-nassen Vergnügens herkommen? Aus der Stadtkasse? Bis 1990 wurde der jährliche 12 Millionen DDR-Mark-Zuschuss vom DDR-Ministerrat übernommen. Es ist deshalb irreführend, wenn die Berliner Zeitung am 25. September 2024 schreibt, dass das SEZ erst „nach der Wende jahrelang Verluste machte“. Das SEZ war seit seinem ersten Tag 1981 defizitär.
Nach Jahren des Gesundschrumpfens betrug der jährliche Senats-Zuschuss 1999 und 2000 jeweils 0,8 Millionen DM. Im Jahr 2002 lag er bei 3,5 Millionen Euro und für 2003 wurde der erwartete Zuschuss von 4,7 Millionen Euro kurzerhand durch die Privatisierung gestrichen. Nach Einschätzung von Rainer Löhnitz, seit 2003 Betreiber des SEZ, der sich auf Gutachten und Wirtschaftsprüfungen des Senats stützen konnte, war das SEZ schon seit seiner Eröffnung im Jahr 1981 „betriebswirtschaftlich betrachtet wertlos“. Da hat Löhnitz Recht.
SEZ, Wellenbad, 1985
Das große Pfund des SEZ war seine komplexe Attraktivität, die einmalig war. Die schönen Erinnerungen von Millionen DDR-Bürgern an diese vielseitige Sportstätte können nicht kleingeredet werden. Aber sie sind historisch und politisch einzuordnen, ohne die heutigen politischen Marketing-Interessen von Parteien zu bedienen. Das SEZ war ein Kind seiner Zeit und verschwand mit ihr.
Puhdys: „Jegliches hat seine Zeit, … Bäume pflanzen, Bäume abhau'n“
Wer das SEZ allein von seiner eleganten, beeindruckenden Exklusivität und freizeitsportlichen Nützlichkeit betrachtet, liegt genauso falsch wie derjenige, der nur die extremen Betriebs- und Personalkosten im Auge hat. Das SEZ war in seinem Wesen ein Ergänzungsbau zur Mauer. Was den DDR-Bürgern durch das eine Bauwerk verwehrt war, konnten sie in dem 5-Hektar-Freizeitspaß in Friedrichshain genießen und dabei den Rest der Welt vergessen. Es war, wie der Architekt des SEZ rückblickend richtig einschätzt, „so eine Art Karibik-Ersatz“ (Berliner Zeitung, 14.1.2024).
Die „arme“ DDR konnte sich so etwas leisten, der reiche Westen nicht. Die DDR subventionierte 5-Pfennig-Brötchen, 20-Pfennig-Straßenbahnfahrten, soziale Mieten (10 % des Einkommens) und das 50-Pfennig-Eintritt-SEZ, Deutschland dagegen Energiekonzerne, Banken, den Ukraine-Krieg und bayrische Bauernhöfe. Diese Erkenntnis stammt nicht aus dem Jahr 2024, auch nicht aus dem SEZ-Privatisierungsjahr 2003, sondern aus dem Jahr 1990, als die ersten 237 Entlassungen unter den damals noch 587 SEZ-Mitarbeitern (1988: 830 Mitarbeiter, Juli 1990: 700 Mitarbeiter, Dezember 2002: 125 Mitarbeiter) das Weihnachtsfest einläuteten, um angeblich die künftige Rentabilität des SEZ zu sichern. Reine Augenwischerei schon in dem Jahr, als Ostdeutschland zu blühen begann.
Über die „moderne“ Westberliner-schwedische Architektur mit 15.000 Quadratmetern Fensterglas, aufwändig unterhaltbaren Konstruktionen, unökologischem Energieverbrauch, unpraktischer Elektroinstallation, verschachtelten Grundrissen, ineffizienter Flächenaufteilung, schnell veraltender Gebäudetechnik, wartungsunfreundlicher Gebäudesubstanz, also im Grunde genommen einer Eintagsfliegen-Architektur von schreiender Unnachhaltigkeit, haben wir noch nicht gesprochen. Das SEZ sah in seinen ersten zehn Jahren exotisch wie ein Raumschiff vom Mars aus, danach rottete es nur noch vor sich hin. Am 31. Dezember 2002 wurde das SEZ geschlossen. 21 Millionen DDR-Bürger wellenbadeten und bowlten sich hier durch die letzten Schreckensjahre des Sozialismus. Seither wachten sie argwöhnisch darüber, was mit ihrer geliebten, noch nicht ganz toten Ruine passieren würde.
„Raumschiff“ SEZ, 1988
Tricks der kapitalistischen „Linken“
Der Ostdeutsche denkt sich nichts dabei, wenn ein Kapitalist sagt, das sei nicht mehr zu retten, das sei marode. Warum denn? Es kommt doch noch Wasser aus dem Hahn. Nur die Schlauesten unter ihnen, die auch die Bonusmeilen kennen, wissen, wohin der Hase läuft. Eine Exekution des SEZ per Senatsbeschluss schied nämlich wegen der ostmentalen Rückwirkung mit Wahlstimmenverlusten aus, auch der Palastabriss war schließlich von Anfang an klar, musste aber aus denselben Gründen über mehr als ein Jahrzehnt hinausgezögert werden. Politiker brauchten Zeit und jemanden, der den Gaul runterreitet. Den Genossen der PDS gemeinsam mit ihrer SPD blieb es überlassen, das lästige SEZ langsam aber sicher auf diese abschüssige Bahn des Verfalls mit unabwendbarer Abrissperspektive zu schieben, ohne dafür Verantwortung übernehmen zu müssen. Als sie endlich im Wowereit-Senat die Entscheidungsmacht hatten, wurde es gemeinsam mit der SPD vollbracht. Das SEZ wurde ein Jahr nach dem Eintritt der PDS in den Senat im Dezember 2002 privatisiert, genauso wie 64.000 Sozialwohnungen, oder sollte man lieber sagen, kriminell verhökert? Es war auch nicht der mithelfende Finanzsenator Thilo Sarrazin, der das SEZ verkaufte, sondern der SPD-PDS-Senat wies den Finanzsenator zur Privatisierung an. Dies unterschlägt die Berliner Zeitung am 25. September 2024 und verwischt die politische Verantwortung. Vonovia und Deutsche Wohnen sind so gesehen Züchtungen der Linkspartei, weil deren Marktmacht erst durch die verheerende Finanzpolitik der Linken entstehen konnte.
SEZ, ehemaliges Wellenbad ohne Wellen, 29. September 2024
Mit einem nach Korruption und Verantwortungslosigkeit riechenden Verkauf ging das SEZ 2003 an den Leipziger Fitnesszentrum-Spezialisten Rainer Löhnitz. „Kaufpreis“: 1 Euro, in Worten: ein. Was nichts kostet, ist nichts wert. Diese Weisheit, die in Friedrichshain seit 1990 jedem „Supermarkt“-Besucher in Fleisch und Blut übergegangen war, wurde auf das SEZ selbst von solchen „Wirtschaftsexperten“ wie Gregor Gysi (PDS/Linke) oder Harald Wolf (PDS/Linke) nicht angewendet. Schon seit Anfang der 1990er Jahre standen die 1-DM-Verkäufe an westdeutsche Unternehmen, die sogenannten Immobilien-Schnäppchen der Treuhand, bei den Ostdeutschen im Geruch der Undurchsichtigkeit, des Verschenkens von Staatseigentum und der kriminellen Vorteilsnahme durch Unternehmer, die den Profit, aber nicht das erworbene Objekt liebten.
Die Privatisierung verlagerte das SEZ-Finanzloch geschickt auf einen einzelnen Unternehmer. Sie gründete auf der Entscheidung der Stadt Berlin, die erforderliche Grundinvestition für das SEZ in Höhe von 17 Millionen Euro einzusparen und Die Linke kann stolz sagen, sie war dabei gewesen. Im Jahr 2023 begann die Sanierung des nun einzigen Wellenbades in Berlin, des Schwimmbades am Spreewaldplatz in Kreuzberg, für 42 Millionen Euro. Geld ist also wieder da. Bis 2030 wollen die Berliner Bäderbetriebe bis zu 400 Millionen Euro in ihre Bäder investieren, zu denen das SEZ nicht mehr gehört.
SEZ, Wasserbecken ohne Wasser, 29. September 2024
Der Unternehmer Rainer Löhnitz ist, wie er selbst angab, rein zufällig 2002 auf das SEZ aufmerksam geworden und war von Anfang an von der Dimension der Sanierung und des Weiterbetriebs überfordert. Wer nur ein wenig Ahnung von derartiger Immobiliensubstanz hat, der wusste, dass Löhnitz ein Mann des Übergangs, eine Zwischenlösung, ist. Es blieben nur die Alternativen: Sanieren oder Ruinieren. Löhnitz wollte einen dritten Weg, einen Weiterbetrieb mit schrittweiser Modernisierung, wobei er das Volumen einer Sanierung derart kleinhielt, dass sein Konzept nur als ein Fahren auf Verschleiß angesehen werden kann. Ohne große Investitionen sollte alles weitergehen wie bisher. Ihm zu Gute halten kann man, dass seine verwegene Projekt-Idee vom politischen Populismus der Linkspartei gesponsert wurde und er von den Genossen, die ein Stück Pseudo-Sozialismus im Kapitalismus gern revivalt hätten, geradezu in diese Richtung gedrängt wurde.
SEZ, 25. September 2024
Der sportpolitische Sprecher der PDS-Fraktion, Walter Kaczmarczyk, sprach 2003 bewundernd vom „Erhalt des Hauses“ durch Löhnitz, und auch die sportpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Karin Seidel-Kalmutzki, belobhudelte damals das Löhnitz-Projekt: „Alles spricht für Poseidon.“
In der Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und PDS für die Legislaturperiode 2001-2006 wurde glasklar festgelegt, dass es keine Förderung mehr für das SEZ ab 2003 geben werde und eine „private Trägerschaft“ anzustreben sei. Unterschrieben wurde das Dokument von den Sozialdemokraten aus PDS und SPD: Stefan Liebich, Harald Wolf, Peter Strieder, Michael Müller.
Auch die PDS-Abgeordnete Martina Michels und die Friedrichshain-Kreuzberger Bürgermeisterin Cornelia Reinauer (PDS) sprachen sich vehement für die Löhnitz-1-Euro-Privatisierung aus. Als Walter Kaczmarczyk von der Linkspartei 2006 noch von einer erfolgreichen Sanierung schwärmte, titelte der Berliner Kurier bereits „SEZ-Schwindel“.
SEZ, 25. September 2024
Niemand hatte die Absicht, das SEZ abzureißen
Schon während des Verkaufs des SEZ an Löhnitz gingen skurrile, sich widersprechende Geschichten durch die Presse, die nur eine Funktion hatten: die Kosten des SEZ aus dem Stadthaushalt zu nehmen, den privaten Weiterbetrieb in einem Dickicht kontroverser Auflagen und Abmachungen zunächst zu dulden, um sich bei eindeutig absehbarem Scheitern des Betreibers das wertgesteigerte Grundstück zurückzuholen. Ob diesem Ablauf ein Plan zugrunde lag ist völlig nebensächlich, eine Idee war es wohl schon. Der Chef des Liegenschaftsdienstes Holger Lippmann verankerte diese Idee clever mit einer Rückkaufsklausel im 1-Euro-Vertrag.
Der gesunde ökonomische Menschenverstand ließ jedenfalls wegen der Diskrepanz zwischen erforderlicher wirtschaftlicher Investition und ruinösem Weiterbetrieb keinen anderen Ausgang erwarten. Löhnitz musste nach den Bestimmungen seines Kaufvertrages scheitern. Der Senat saß am längeren Hebel und hat in diesem Geschäft eine 5-Hektar-Immobilie über zwei Jahrzehnte hindurch ohne jegliche Kosten für die Stadt durch die Zeit gebracht, um sie 2024 auf eine millionenschwere Verwertungsspur zu setzen. Der Coup ist gelungen.
SEZ, Wasserbecken, auch kein Wasser drin, 29. September 2024
Bereits 2016 bereitete sich Berlin auf das Abriss-Finale vor. Katrin Lompscher (Die Linke), Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, ebnete mit ihrem Bebauungsplan 2-43
für das Grundstück Landsberger Allee 77 vom Dezember 2018 dafür den Weg und plante den Abriss. Ihre Genossen krönen nun ihren eigenen Orientierungsverlust mit der Farce „SEZ-Abriss alternativlos?“ und kämpfen plötzlich für das SEZ, das sie 21 Jahre lang sich selbst und Löhnitz überließen. Kämpfen sie nun gegen Katrin Lompscher? Nein, die wurde eingeladen, um gemeinsam über Alternativen zum Abriss zu orakeln. Der muffige Geruch (29.09.2024) im Innern des SEZ stört sie anscheinend nicht.
Wer sich nach den Ursachen der jüngsten politischen Stimmungen im Osten umsieht, wird sie in der schrägen, unglaubwürdigen Politik auch beim SEZ finden.
Nach dem Ahornblatt (2000) und dem Palast der Republik (2006) ist das SEZ der prominenteste Abriss von DDR-Architektur in Berlin. Auf den nächsten Plätzen folgen das Stadion im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sport-Park (Abriss 2024), das Karl-Friedrich-Friesen-Schwimmstadion im Volkspark Friedrichshain (Abriss 1999), die Werner-Seelenbinder-Halle (Abriss 1992).
Das SEZ beweist nur, dass „Die Linke“ nicht mehr links ist und sozialistisch schon gar nicht. Sie redet selbst dann noch den Friedrichshainern zum Munde, wenn diese längst wissen, dass sie gestern das genaue Gegenteil erzählte.
Wanja Abramowski, 01.10.2024
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SEZ, 1985 |
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„SEZ-Abriss alternativlos?“ Das schlechte Gewissen der Linkspartei?
25. September 2024
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13. Februar 2023
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21. Januar 2023
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21. Januar 2023
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15. Januar 2023
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15. Januar 2023
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30. November 2022
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30. November 2022
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21. November 2022
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31. August 2022
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17. Mai 2022
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Wieviel Blut klebt an den Worten des „Antisemiten und Rassisten“ Karl Marx?
Die Angriffe in den vergangenen Wochen gegen Denkmäler skrupelloser Sklavenhändler wie Edward Colston in Bristol, brutale Kolonialherrscher wie Leopold II. in Antwerpen, der den Massenmord von zehn Millionen Kongolesen in der belgischen Kolonialzeit verantwortete oder des konservativen Südstaaten-Präsidenten Jefferson Davis in Richmond, der die Sklaverei als Ausbeutungs-System militärisch verteidigte, fanden ihren Anlass in dem rassistischen Polizeimord an George Floyd am 25. Mai 2020. Denkmalsstürze sind in der Geschichte nicht selten die Begleiterscheinungen von Revolutionen, in denen nicht nur alte Vorbilder und Ideologien, sondern auch ihre politisch-ökonomischen Grundlagen, die das Unrecht erst ermöglichten, zu Bruch gehen. Was wir heute erleben sind Denkmalsstürze, ohne deren Fundamente zu beschädigen. Die Revolution bleibt aus, obwohl mit Black Lives Matter und Wall of Moms ein amerikanischer Frühling nahe schien. Rassismus aber allein in der Sprache, in der Kommunikation und in historischen Symbolen ohne seine politisch-ökonomischen Grundlagen zu bekämpfen, birgt eher die Gefahr, ihn nur unsichtbar zu machen, anstatt ihn auszurotten. Er verschwindet auf der Oberfläche, wird verboten, getilgt und somit unkenntlich, aber nicht aufgehoben, er existiert weiter. Die Frage, woher er kommt, worin seine gesellschaftlichen Bedingungen liegen, bleibt unbeantwortet oder zieht sich auf ein unpolitisches Gut-Böse-Schema zurück, das sich in psychologischen Abgründen oder in Einzelfällen verliert.
Rassistisch politisch korrekt
Der Wissenschaftskolonialist Alexander von Humboldt ist eines der frühen Beispiele in der Geschichte für die scheinbare sprachliche Selbstimunisierung gegen den Rassismus. Seiner unverbindlichen Schönrederei, „Ohne Zweifel ist die Sklaverei das größte aller Übel, welche die Menschheit gepeinigt haben.“ (Alexander von Humboldt: Essai politique sur l’île de Cuba. Politischer Versuch über die Insel Cuba, zit. n. dt. Übersetzung: Alexander von Humboldt: Cuba-Werk. Hg. von Hanno Beck. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgemeinschaft 1992, S. 156.f), ging ein entgegengesetztes politisches Handeln voraus.
In seinen Reiseerzählungen beschreibt er wie er im Jahr 1800 in Brasilien „aus der Höhle von Ataruipe mehrere Schädel, das Skelett eines Kindes von sechs bis sieben Jahren und die Skelette zweier Erwachsener von der Nation der Atures mit“ nahm, gegen den ihm bekannten „abergläubische(n) Widerwillen der Indianer“. Alexander von Humboldt:
„Wir suchten recht charakteristische Schädel für [Johann Friedrich] Blumenbach und öffneten daher viele Mapire [Körbe]. Armes Volk, selbst in den Gräbern stört man deine Ruhe! Die Indianer sahen diese Operation mit großem Unwillen an, besonders ein paar Indianer von Guaicia, welche kaum vier Monate lang weiße Menschen kannten. Wir sammelten Schädel, ein Kinderskelett und zwei Skelette erwachsener Personen. […] Die Nacht brach ein, indem wir noch unter den Knochen wühlten. Die Mienen unserer indianischen Führer sagten uns, dass wir diese Grabstätte genug entheiligt hätten und den Frevel endlich endigen sollten. […] Wir schleppten unsere Skelette zu Wasser bis Angostura und von da zu Lande bis [Nueva] Barcelona durch die Missionen der Cariben. Dem Spurgeist der Indianer entgeht nichts. Die Knochen waren in doppelten Mapire und schienen uns völlig unsichtbar. Kaum aber kamen wir in einem Caribischen Dorfe an, und kaum versammelten sich die Indianer, um unsere Tiere (Kapuziner- und Tigeraffen) zu sehen, so waren sogleich die Knochen ausgespürt. Man weigerte sich, uns mulas [Maultiere] zu geben, weil der Kadaver sie töte.“
(Margot Faak (Hg.): Alexander von Humboldt: Reise durch Venezuela. Auswahl aus den amerikanischen Reisetagebüchern. Berlin: Akademie Verlag, 2000, S. 324 f.)
Alexander von Humboldt plünderte die lateinamerikanischen Kulturen, entehrte und „entheiligte“, wie er selbst zugab, ihren Totenkult. Dies war ihm bewusst, sonst hätte er die Einheimischen nicht belogen und betrogen. Humboldt selbst sprach von Frevel, einem Verstoß gegen religiöse bzw. moralische Regeln.
Seine Forschungen teilte er nicht mit den indigenen Völkern, die von ihm als „Wilde“, „Horden“ und „halbbarbarische Völker“ bezeichnet wurden, sondern mit den europäischen Herrschern und ihnen willfährige Eliten. Von Humboldt war als Wissenschaftler und Entdecker das, was Konquistador Hernán Cortés als Militär war, ein Eroberer. Beide vergrößerten den sozialökonomischen und kulturellen Abstand zwischen Europa und Lateinamerika mit verbrecherischen Mitteln oder unter unterdrückerischer Ausnutzung ihrer ökonomischen und intellektuellen Machtposition.
Alexander von Humboldt war kein spanischer Dominikanermönch wie Bartolomé de Las Casas, der die Unterdrückung Lateinamerikas scharf verurteilte. Humboldt paktierte im Interesse seiner „unpolitischen“ Forschungen mit den Ausbeutern dieses Kontinents, dem spanischen König Karl IV. und dessen Statthaltern.
In seiner Sprache hat sich Alexander von Humboldt weitgehend korrekt verhalten, sein kolonialrassistischer Raub der Skelette und Schädel sollte ein frühes Vorbild für die spätere deutsche Rassenforschung werden. 1904 wurden tausende Schädel der im Völkermord durch die Deutschen ermordeten Herero nach Berlin geschafft, von wo sie erst 2014 bis 2018 und wohl unvollständig an Namibia zurückgegeben wurden.
Alexander von Humboldt bleibt 2020 ein ehrenwerter deutscher Universalgelehrter, der von den heutigen Eliten gegen alle rassistischen Vorwürfe verteidigt wird, weil er so korrekt war.
Rassismus – Begründung der Ungleichheit
Betrachtet man die gegenwärtigen Hauptkonfliktlinien des Rassismus, so verlaufen sie anscheinend entlang der unterschiedlichen Hautfarben der Menschen. Die Herkunft des modernen Rassismus wird daher oft in das Zeitalter der Entdeckungen in die Zeit um 1500 verwiesen. Mit „Amerika“ entstand die erste bislang unbeanstandete kolonialistische Fremdzuschreibung nach einem ihrer Entdecker Amerigo Vespucci für eine Welt, die in Europa nicht nur unbekannt, sondern a priori als Untertan angesehen wurde. Tatsächlich entstand der Rassismus mindestens zwei Jahrhunderte früher als die katholische Reconquista auf der spanischen Halbinsel die Überlegenheit des Christentums gegenüber Juden und Muslimen grausam begründete. Selbst dies war in Europa nicht der erste Fall. Nach der Sklavenhalter-Antike bildete sich ein neuer europäischer Rassismus schon im 7. Jahrhundert an der Abbruchkante des Christentums im Westgotenreich mit den Zwangstaufen von Juden heraus. Auch die deutsche Ostkolonisation im 10. bis 12. Jahrhundert zwischen Elbe und Oder bediente sich religiös-rassistischer Begründungen gegenüber den im Berliner Raum lebenden Slawen, denen generell eine minderwertige gesellschaftliche Zivilisation vor allem wegen ihrer als „Heidentum“ diffamierten Religion zugeschrieben wurde. Diese Art von Rassismus ist noch heute in der Stralauer Dorfkirche mit den sogenannten „Wenden-Fratzen“ zu besichtigen, die im 15. Jahrhundert eine spöttische Darstellung der slawischen Vorbevölkerung bezweckten. Sollte es nicht auch als rassistisch gelten, wenn Berliner Juden im Jahr 1348 für den Ausbruch der Pest verantwortlich gemacht und misshandelt und vertrieben wurden? In allen Fällen, ob bei den Slawen oder Juden, war nicht Unwissenheit oder Aberglaube der maßgebliche Initiator des rassistischen Kalküls, sondern Erlangung ökonomische Herrschaft über Land, Menschen oder deren Kapital und Besitz. Und nicht zuletzt war die zutiefst rassistische Herrschaft der deutschen Faschisten keinesfalls vorrangig von der Unterscheidung der Hautfarbe, sondern von ideologischen Feindbildern gegen Kommunisten oder den „jüdischen Bolschewismus“ bestimmt. Aber auch diese Ideologie basierte auf dem ökonomischen Interesse, eine soziale Revolution zur Enteignung des Privateigentums zu verhindern. So gesehen folgt die Festlegung des Rassismus entlang äußerer Merkmale, z.B. der Hautfarbe oder der Sprache, selbst nur einem Stereotyp, das die Dimension der kapitalistisch-rassistischen Ökonomie nicht erfasst.
Marx - Ökonom der Gleichheit
Die drei Menschheitsübel Rassismus, Kolonialismus und Kapitalismus können nicht durch korrektes Verhalten oder durch eine von Beleidigungen freie Kommunikation beseitigt werden, denn die kapitalistische Gesellschaft gründet sich nicht auf Antipathien, emotionalen Entgleisungen, Geiz, Gier und irrationaler Unmenschlichkeit, sondern stets auf handfesten ökonomischen Klasseninteressen. Umgekehrt bringen diese asozialen Sachzwänge erst Profitgier, Rassismus und weitere Verbrechen hervor. Tupoka Ogette meint: „Die Europäer waren nicht zu Sklavenhändlern geworden, weil sie Rassisten waren. Andersherum wird ein Schuh draus. Sie wurden Rassisten, um Menschen für ihren eigenen Profit versklaven zu können.“ (Tupoka Ogette, exit Racism. Rassismuskritisch denken lernen, Münster 2020, S. 35) Daran, das sollte Tupoka Ogette bedenken, hat sich bis heute nichts geändert, denn Rassismus rechnet sich noch immer und wirft bis heute Profit ab. Dies ist der eigentliche Sinn des Systems Rassismus, er ist das System Profit.
Karl Marx, der sich ein Leben lang als Philosoph und Ökonom mit der Analyse des Kapitalismus beschäftigte, in dem wir in Europa auf unabsehbare Zeit zu leben haben, sah in der Produktion von Mehrwert durch die Produzenten (Arbeiter, Angestellter, Lohnabhängige, Freiberufler), den sich die Besitzer der Produktionsmittel als Profit aneignen, die Ursache der Ausbeutung. Dieser Ausbeutungsprofit wohnt jedem kapitalistischen Arbeitsprozess inne, auch dem gemütlichsten Home office, oder Mietverhältnis, und muss daher zu einer fortschreitenden sozialökonomischen Ungleichheit führen. Zuerst zwischen den Kapitalisten und den Lohnabhängigen, aber auch unter den Arbeitern und zwischen den Geschlechtern, Altersgruppen, Nationen, Ethnien, Religionen, Mietern und weiteren Gruppen, z.B. LGTBQ, da nur deren Lohn/Miet-Unterschiede dem Kapital eine Profiterzeugung ermöglichen. Die Arbeitskraft kann nur über ein sich unterbietendes Überangebot auf dem Markt realisiert werden. Deshalb arbeiten Rumänen bei Tönnies und polnische Spargelstecher auf den westdeutschen Beelitzer Spargelplantagen. Mietwohnungen können im Kapitalismus nur durch einen stetig ansteigenden, urban-segregierenden Mietzins existieren. „Wir bleiben Alle“-Proteste, Hauskäufe, Mietendeckel und Pseudo-Enteignungen mit Entschädigung halten diese Entwicklung nicht auf.
Marx plädierte daher zur Befreiung nicht nur der deutschen oder europäischen Arbeiter für die Schaffung einer weltweiten klassenlosen Gesellschaft, basierend auf dem Gemeineigentum an den Produktionsmitteln, das nur durch die entschädigungslose Enteignung des Privatkapitaleigentums entstehen kann. Er gab neben anderen Persönlichkeiten einen politisch-intellektuellen Impuls für die Entstehung der ersten globalen sozialen Arbeiterbewegung in der Geschichte der Menschheit, die in ihrem Grundsatz von der sozialökonomischen Gleichheit aller Menschen ausging, egal ob diese Bewegung zur sozialdemokratischen, kommunistischen, anarchistischen oder einer anderen Richtung tendierte. Bei den reaktionären, den rechten, den konservativen Kreisen war diese soziale Bewegung einzig wegen dieser grundlegenden antirassistischen Gemeinsamkeit, der Gleichheit, die in ihrer Wiege im 19. Jahrhundert lag, verhasst, denn in ihrer letzten Konsequenz bedeutet das die entschädigungslose Enteignung des großen Kapitals, also von Tönnies, Deutsche Wohnen, Lufthansa, Deutsche Bank oder VW.
Man sollte annehmen, mit Marx auf dem sicheren Boden einer antirassistischen Grundhaltung zu stehen, weil in der Ökonomie der Gleichen die Hauptursache des Rassismus, die Ungleichheit, verschwunden ist.
Marx’ „Rassismus“
Einer der zeitgenössischen Enteignungs-Hasser, der Wirtschaftsjournalist, Ex-Chefredakteur der „Welt“, „Berliner Morgenpost“, „Cicero“ und „Focus“, der Verfasser des Konservativen Manifests (2018) Wolfram Weimer, behauptete jedoch am 16. Juni 2020 (www.theeuropean.de/wolfram-weimer/karl-marx-war-ein-schlimmer-rassist/) als Trittbrettfahrer der Black Lives Matter-Bewegung „vor allem Karl Marx (war) einer der übelsten Rassisten … Karl Marx hasste Juden wie Schwarze in erschreckend expliziter Weise. Er ist in der Kategorie ‚Rassist‘ weit vor Bismarck einzuordnen.“ Weimer begründet sein Urteil mit Textausschnitten der privaten Korrespondenz von Karl Marx an seinen Freund Friedrich Engels und der Marxschen Frühschrift „Zur Judenfrage“ aus dem Jahr 1844. Wie es sich für einen rechtskonservativen Populisten gehört, gab er keine Quelle seiner antirassistischen Marx-Studie an, nicht mal seine eigene. Denn erstaunlicher Weise hatte er bereits vor zwei Jahren – also geradezu als „Vordenker“ der Black Lives Matter – im Jahr 2018 einen fast wortgleichen Beitrag und auch da ohne jegliche Quellenangabe veröffentlicht (ntv.de, 1. Mai 2018). Im Jahr 2018 trieb ihn sein Antisozialismus dazu, Karl Marx an dessen 200. Geburtstag als Rassisten zu denunzieren, im Juni 2020 näherte er sich von einer vorgeblich antirassistischen Position Marx an. Schon dieses gebetsmühlenartige Marx-Bashing verweist auf die Motivlage Weimers, dem es keinesfalls um den Kampf gegen den Rassismus oder Antisemitismus geht, den er Marx vorwirft, sondern um ein „Comeback des Konservatismus“ (Wolfram Weimer, Das konservative Manifest. Zehn Gebote der neuen Bürgerlichkeit, Kulmbach 2018, S. 7). In diesem „Manifest“, in dem er Marx übrigens noch wertfrei als „prozessual“ zu „unserer Kultur“ (Manifest, S. 7) zählt, hofiert er Winston Churchill (Manifest, S. 11), dem gerade jetzt in England vorgeworfen wird, für den Hungertot von drei Millionen Bengalen im Jahr 1943 mitverantwortlich zu sein. Aber Weimer goutiert in seinem „Manifest“ nicht nur demokratische Kolonialherren, auch Ernst Moritz Arndt, dessen Antisemitismus, Franzosenhass und Rassenabwertung seit Jahren umstritten ist, bietet er als leuchtendes Vorbild der deutschen Nation an. Arndts völkisches Verständnis von Sprache, Kultur und Abstammung der Deutschen übernimmt Weimer unkritisch (Manifest, S. 21), obwohl dieser den Juden ausdrücklich eine staatsbürgerliche Gleichstellung in Deutschland absprach.
Weimer betrauert in seinem „Manifest“ den Niedergang seines westlichen Europas dessen Bewusstsein „des eigenen Blutes“ (Manifest, S. 48) angesichts des dramatischen kontinentalen Bedeutungsverlustes plötzlich in Scherben fällt. Seinen Höhepunkt findet diese eurovölkische Beweihräucherung in der Bewunderung der 600jährigen Kolonialgeschichte Europas, deren „zivilisatorische Leistung“ (Manifest, S. 50) Weimer trotz Eroberungen und Sklaverei zu würdigen weiß.
Von diesen Positionen eines modernisierten abendländischen Konservatismus schwingt Weimer die Keule des Antirassismus gegen Marx. Dessen Briefe – so Weimer – „entlarven Marx als blanken Rassisten“. Ferdinand Lassalle, der Gründer des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, wird darin von Marx wegen seiner jüdischen Herkunft als “Jüdel Braun”, “Ephraim Gescheit” und “Itzig” bezeichnet. Nach einem Treffen mit Lassalle in London 1862 sprach Marx vom “jüdischen Nigger Lasalle”. Er schrieb weiter: “Es ist mir jetzt völlig klar, dass er, wie auch seiner Kopfbildung und sein Haarwuchs beweist, von Negern abstammt, die sich dem Zug des Moses aus Ägypten anschlossen. Nun, diese Verbindung von Judentum und Germanentum mit der negerhaften Grundsubstanz müssen ein sonderbares Produkt hervorbringen. Die Zudringlichkeit des Burschen ist auch niggerhaft.”
Auch gegen seinen Schwiegersohn Paul Lafargue, dessen Mutter eine kubanische Kreolin war, ließ Karl Marx rassistische Aversionen freien Lauf und bezeichnete ihn in einem Brief an seine Tochter Jenny als “Negrillo” und “Abkömmling eines Gorillas”. An Friedrich Engels schrieb er: “Lafargue hat die üble Narbe von dem Negerstamm: kein Gefühl der Scham.”
Die Marx-Äußerungen sind von Weimer buchstabengetreu, aber zusammenhanglos zitiert und entstammen, von Weimer verschwiegen, dem zwei Monate zuvor im März 2018 von Björn und Simon Akstinat herausgegebenen Hörbuch „Marx & Engels intim“, München 2018 mit einer Lesung der Marxtexte in der Berliner Kalkscheune am 23. März 2009 durch Harry Rowohlt, Gregor Gysi und Anna Thalbach.
Die Marx-Texte sind seit Jahrzehnten einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Sie wurden kritisch diskutiert mit einer Bandbreite von „facetious mockery“ (Marcel Stoetzler, Antisemitism and the Constitution of Sociology, 2014, p. 138), also scherzhaft, über jiddischen Witz (Marx entstammte dem Judentum) bis hin zu antisemitischen und rassistischen Schmähungen (Wulf D. Hund, Der ‚jüdische Nigger‘ Lassalle, in: Sozialgeschichte Online 24, 2018, S. 106), wobei sich im 21. Jahrhundert wohl letztere Sicht durchsetzt. Die Texte entstammen privaten Korrespondenzen in denen wir in Zeiten eines allgegenwärtigen Datenschutzes voyeuristisch herumschnüffeln können, sie haben konkrete Beziehungspersonen zur Zielscheibe und sie wurden der zeitgenössischen Öffentlichkeit vorenthalten. Damit entfalteten sie zu Marx‘ Lebzeiten keinesfalls die Wirkung, die wir heute in ihnen sehen und sehen müssen. Nur einige Monate später als Karl Marx abfällig vom “jüdischen Nigger Lasalle” sprach, nahm er am 26. März 1863 in der Londoner St. James‘s Hall an der großen Solidaritätsversammlung für die Nordstaaten im amerikanischen Bürgerkrieg teil. Marx und Engels standen nicht bloß auf der Seite des Nordens gegen den Sklavenhalter-Süden, sondern sahen in diesem Krieg den Kampf zweier sozialer Systeme. Als Abraham Lincoln am 22. September 1862 in der „Emancipation Proclamation“ die Beseitigung der Sklaverei, die Übergabe von Land und die Aufnahme von schwarzen Sklaven in die Armee anordnete, wertete dies Marx als „das bedeutendste Aktenstück der amerikanischen Geschichte seit der Begründung der Union“ (K. Marx, Zu den Ereignissen in Amerika, in: Die Presse, Wien, Nr. 281, 12.10.1862, S. 1/2) und sah darin eine Wende zum revolutionären Krieg, den er schon am 7. August 1862 in einem Brief an Engels befürwortet hatte. (MEGA III/12, S. 702). Bereits im Jahrzehnt zuvor solidarisierte sich Marx in seinen Artikeln in der „New-York Daily Tribune“ mit den von den Engländern unterdrückten Völkern Chinas und Indiens. Die „New-York Daily Tribune“ war eine der einflussreichsten Zeitungen Amerikas mit einem klaren antirassistischen Profil und einer Ablehnung der Sklaverei. In ihr setzte sich Marx für die „Selbstbefreiung“ Indiens ein, „dessen edler Menschenschlag“ (K. Marx, in: New-York Daily Tribune, 8.3.1853) seine Bewunderung erlangte und er in gewisser Weise zu den Ahnen der Griechen und Germanen zählte. Und von China, dass er als ein „lebendes Fossil“ und als das „älteste und unerschütterlichste Reich der Erde“ betrachtete, erwartete er eine Revolution „die jedenfalls die bedeutendsten Resultate für die Zivilisation haben muß“. Sein dialektisches Denken zu China kommt in folgender Feststellung zum Ausdruck: „Wenn unsere europäischen Reaktionäre auf ihrer demnächst bevorstehenden Flucht durch Asien endlich an der chinesischen Mauer ankommen, an den Pforten, die zu dem Hort der Urreaktion und des Urkonservatismus führen, wer weiß, ob sie nicht darauf die Überschrift lesen: République chinoise. Liberté, Egalité, Fraternité.“ (K. Marx, F. Engels, Revue, in: MEW 7, S. 222)
Marx’ „Antisemitismus“
In einer zweiten und dritten Quelle, die den angeblichen Antisemitismus von Marx belegen soll und die seit fast 180 Jahren allseits bekannt sind, stürzt sich Weimer auf die Marx-Schriften „Zur Judenfrage“ und „Das Kapital“. Nach Weimer legt der Text „den geistigen Grundstein für blanken antisemitischen Hass: (Marx:) ‚Welches ist der weltliche Grund des Judenthums? Das praktische Bedürfnis, der Eigennutz. Welches ist der weltliche Kultus der Juden? Der Schacher. Welches ist sein weltlicher Gott? Das Geld.‘ Die Passagen von Marx über Juden lesen sich zuweilen wie Originaltexte von Nazis. Das Judentum sei ‚ein allgemeines gegenwärtiges antisociales Element‘. In der jüdischen Religion liege ‚die Verachtung der Theorie, der Kunst, der Geschichte, des Menschen als Selbstzweck‘. Selbst ‚das Weib wird verschachert‘. In seinem Zentralwerk ‚Das Kapital‘ schreibt Marx 1872, dass alle Waren ‚in der Wahrheit Geld, innerlich beschnittene Juden sind, und zudem wundertätige Mittel, um aus Geld mehr Geld zu machen”.
Soweit die Vorwürfe von Weimer, der wiederum lediglich die Worte, nicht aber ihren von Marx formulierten inhaltlichen Zusammenhang wiedergibt. Zurückbleiben dann einzelne Versatzstücke, die für sich genommen antisemitische Tendenzen zeigen, wenn man sie konkret gegen Juden wendet. Genau dies hat aber Marx nicht getan. Seine Schrift war gerade eine Entgegnung auf eine judenfeindliche Arbeit von Bruno Bauer und versuchte eine radikale Religionskritik mit der theologischen Kritik des Privateigentums zu verbinden. In seinem Text griff Marx nicht nur die jüdische Religion, sondern auch das Christentum als monotheistische Religion des Privateigentums an und tauschte sie zusammen mit der bürgerlichen Gesellschaft aus, da sie die knechtenden Verhältnisse des Privateigentums ideologisch-religiös begründeten. Seine Sprache war drastisch und zuspitzend und setzte sich die Änderung der gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse, in denen die Juden eingeschlossen waren, zum Ziel. Marx griff das Judentum niemals als ethnische Gruppe an: „Das Christentum ist der sublime Gedanke des Judentums, das Judentum ist die gemeine Nutzanwendung des Christentums, aber diese Nutzanwendung konnte erst zu einer allgemeinen werden, nach dem das Christentum als die fertige Religion die Selbstentfremdung des Menschen von sich und der Natur theoretisch vollendet hatte.“ (K. Marx, Zur Judenfrage, MEW 1, S. 376) Der massive Angriff von Marx gegen die Ware-Geld-Ideologie (alles wird zur Ware, die Religion des Judentums, die Natur, das Weib) der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft wird in diesen Gedanken deutlich, Antisemitismus ist dies nicht. „Die politische Emanzipation des Juden, des Christen, überhaupt des religiösen Menschen, ist die Emanzipation des Staats … überhaupt von der Religion.“ (K. Marx, Zur Judenfrage, MEW 1, S. 353)
Wer versucht, diese philosophisch-theoretischen Aussage in drei-Wort-Sätze der Blöd-Zeitung zu transformieren, der steht natürlich in einem Wald voller antisemitischer Bäume.
Wulf D. Hund, ein westdeutscher ehemals marxistischer Soziologe, konzediert Marx und Engels in seiner umfangreichen Exegese des Marxschen „antisemitischen“ Denkens „Der ‚jüdische Nigger‘ Lassalle. Marginalie zu einem Brief von Karl Marx“ (in: Sozialgeschichte Online 24, 2018) eine antijüdische „Idiosynkrasie“ (Widerwillen). Hund sagt aber auch: „Dabei steht fest, dass Marx die antijüdische Dimension seines Denkens schnell abstreifte (und durch eine sozialökonomische Analyse gesellschaftlicher Verhältnisse ersetzte) und dass er sie politisch nie virulent werden ließ (sondern sich immer gegen jede Form sozialer Diskriminierung gegen Juden wandte und diese auch nie zu Verursachern von oder Schuldigen an sozialen Problemen erklärte). Mental aber hat er seine antijüdische Abneigung nie überwunden …“ (Wulf D. Hund, Der ‚jüdische Nigger‘ Lassalle, in: Sozialgeschichte Online 24, 2018, S. 109)
Die Koexistenz der Verwendung antisemitischer Klischees von Marx bei gleichzeitigem konkreten Eintreten für die rechtliche Gleichstellung der Juden in Petitionen von Kölner und von Trierer Juden betont auch Martin Krauss. (Martin Krauss; Jude, Antisemit und Hassobjekt, in: Jüdische Allgemeine, 27.4.2018). Und dass sich ein Antisemit für die Judenrechte in Jerusalem, wie Marx im Jahr 1854, einsetzte, hat man bislang auch noch nicht gehört. Marx besaß weder ein geschlossenes rassistisches Weltbild, noch strebte er Vorteile in der Herabsetzung anderer Menschen wegen ethnischer Merkmale an. Bei ihm, aber auch bei anderen historischen Persönlichkeiten scheitert die schablonenhafte sprachpolizeiliche Denunziation eines Wolfram Weimer und einer Beatrix von Storch.
Rassisten in Deutschland, Berlin und Friedrichshain
Im Unterschied zu Otto von Bismarck, Paul von Hindenburg, Edward Colston, Leopold II. und Jefferson Davis (Demokratische Partei), Kaiser Wilhelm II. hat Karl Marx keine einzige Handlung eines praktischen Rassismus unternommen, keine rassistische oder antisemitische Ideologie verbreitet oder unterstützt. Er hat sich auch nicht wie der sozialdemokratische Reichspräsident Friedrich Ebert für den Fortbestand deutscher Kolonien eingesetzt und war auch nicht wie der Friedrichshainer Sozialdemokrat Erich Lange Mitglied im faschistischen Reichskolonialbund. Marx hat auch keine Kongokonferenz nach Berlin einberufen, wie der Reichskanzler Otto von Bismarck in den Jahren 1884/1885, auf der die Ausplünderung und Aufteilung Afrikas zwischen den europäischen Großmächten unter Führung der deutschen Konservativen beschlossen wurde. Insofern muss Marx einen direkten Vergleich mit Bismarck nicht fürchten, nur geht dieser anders aus, als es sich der Konservative Wolfram Weimer vorstellt.
Es dauerte nur einen Monat, bis die AfD die Anti-Marx-Kritik von Weimer aufgriff. Am 14. Juli 2020 verhüllten Beatrix von Storch, stellvertretende Bundessprecherin der AfD, und einige Mitglieder der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative (JA) das Karl-Marx-Denkmal am Strausberger Platz in Friedrichshain. "Marx war Rassist und Antisemit" lautete ihr Protest und
unterstrich damit die geistige Einheit des CDU- und FDP-nahen Konservativen Weimer und der deutschnational-rassistischen AfD.
Nur wenige hundert Meter entfernt von diesem Marx-Denkmal wurde am 22. September 1893 Friedrich Engels von 4 000 Arbeitern Berlins in den Concordia-Sälen in der Andreasstraße 64 gefeiert. Karl Marx war ein halbes Jahrhundert zuvor selbst ein „Friedrichshainer“ (der Bezirk entstand erst 1920) geworden. Er wohnte einige Monate im Jahr 1837 in Stralau. Im Roten Berliner Osten lebten seit 1871 nicht nur die aus den deutschen Ostgebieten einwandernden deutschen Arbeiter, sondern auch viele Polen, Juden, Russen, sogar Chinesen und einige Kameruner. Rassistische oder antisemitische Spannungen sind unter dem Einfluss der hier unter den Arbeitern vorherrschenden Sympathien für Karl Marx und die Linksradikalen nicht aufgetreten. Im Kaiserreich versuchten jedoch konservative und liberale Kaufleute und Banker sowie die protestantische Kirche antisemitische Stimmungen unter die Friedrichshainer Arbeiter zu tragen, was jedoch misslang. Aber schon in den 1920er Jahren breitete sich auch hier das Gift des Rassen- und Judenhasses aus, getragen von faschistischen, deutschnationalen und konservativen Organisationen zusammen mit der protestantischen Kirche. Soziale und politische Ausgangspunkte des Friedrichshainer Rassismus und Antisemitismus am Anfang der 1930er Jahre waren nicht die linksradikalen Kieze um den Schlesischen Bahnhof, die Friedenstraße, die Rigaer Straße, die Jungstraße, die Gürtelstraße, am Markgrafendamm, um die Weberwiese, sondern die von den konservativ-faschistischen und von den protestantisch-mittelständischen Milieus beherrschten Wohnviertel Beamtensiedlung Helenenhof, Weißbachblock, die Fleischerszene in der Eberty- und Eldenaer Straße, um die Zwinglikirche am Rudolfplatz und um die Lazaruskirche in der Kadinerstraße.
Auch die Geschichte Friedrichshains widerspricht der AfD und ihrem Vorsänger Weimer.
Der kolonial-rassistische Ballast in Berlin mit der Bismarckstraße, dem Hindenburgdamm und dem kolonialen Museumsraubgut im Humboldt-Forum bleibt eine der Hypotheken der Unmenschlichkeit, neben der weiterhin anhaltenden Ausbeutung der „dritten“ Welt durch koloniale ungleiche Handelsbeziehungen und krasse Ausbeutungsdiktatverträge z.B. der Kinderarbeit in den Kobalt-Minen im Kongo, dem militärischen Interventionismus des Westens unter deutscher Beteiligung (am 10. Juli 2020 schlug in Mali die von der EU und Deutschland ausgebildete FORSAT-Truppe zivile Massenproteste nieder, 14 Tote), der Verweigerungen einer materiellen Entschädigung für das koloniale Unrecht, der Nichtanerkennung des deutschen Völkermordes an den Herero 1904, der Abschottung gegenüber der Migration aus anderen Kontinenten anstelle der gebotenen Aufnahme von Flüchtlingen, aber auch der erniedrigenden Lohn-, Arbeits- und Lebensbedingungen osteuropäischer Arbeiterinnen in Deutschland.
Wenn Karl Marx die Kritik der Waffen ebenso wichtig wie die Waffe der Kritik empfand, so gilt das natürlich auch für ihn und eine kritische Sicht auf seine rassistischen Schmähungen, die einer unkritischen Übernahme zeitgenössischer Denkmuster entsprachen. Diese kritische Sicht auf Marx darf aber nicht die Sicht auf die Rassisten, die Antisemiten, die Neofaschisten und ihre konservativen Ghostwriter im Lande verstellen. Nicht nur diese Popup-Antirassisten lenken vom Kampf gegen den Rassismus ab. Der Kampf gegen Denkmäler und Sprachrassismus kann nur die Begleiterscheinung des Kampfes gegen den rassistischen Kapitalismus sein. Selbst wenn alle inkorrekten Denkmäler gestürzt und alle „Neger, Farbigen, Mulatten, Dunkelhäutige und Mischlinge“ im öffentlichen Sprachgebrauch verschwunden wären, bliebe die Welt eine rassistische à la von Humboldt.
Während in Europa über Denkmäler und Worte gestritten wird, sterben in Mali und Jemen Menschen durch deutsche Waffen, leeren europäische Schiffe die Fischgründe an den Küsten vor Somalia und Benin, vernichtet in Kamerun bayrische Überproduktionsmilch für 40 Cent pro Liter den einheimischen Markt (https://www.brot-fuer-die-welt.de/fileadmin/mediapool/2_Downloads/Fachinformationen/Aktuell/Aktuell_02_Milchdumping_in_Kamerun_Internet.pdf), kauft europäisches Kapital in Zentralafrika mit Tricks und Zwang den Dorfgemeinschaften das lebensnotwendige Land ab und in Libyen zerstört ein Stellvertreterbürgerkrieg Frankreichs, der USA, Italiens, Deutschlands, Russlands und der Türkei eines der reichsten Länder Nordafrikas.
29.7.2020
Wanja Abramowski
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Kragstein „Lästermaul“ in der Stralauer Dorfkirche, sogenannte „Wendenfratze“.
Entstehungszeit um 1460. Die „Wendenfratzen“ stellen verschiedene Gestalten des mittelalterlichen Lebens dar und wurden in Herabsetzung der ursprünglichen Stralower Dorfbevölkerung benannt, die im 13. Jahrhundert christianisiert und durch einwandernde Deutsche bis zum 15. Jahrhundert verdrängt wurde. Zum Zeitpunkt des Kirchenbaus 1459 und in der Reformation lebten vermutlich keine slawischen Nachfahren mehr in Stralow.
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Karl-Marx-Büste am Strausberger Platz. Aufgestellt 1983 anlässlich des 100. Todestages von Karl Marx und in Würdigung der 1961 nach ihm benannten Karl-Marx-Allee. Die Büste wurde 1953 von dem Bildhauer Will Lammert (1892-1957) geschaffen. Will Lammert, der aus Westfalen stammte, floh als Kommunist 1934 in die Sowjetunion. Seine Werke wurden von den Faschisten als entartete Kunst verboten. Seit 1941 musste er in zehnjähriger Verbannung in sowjetischen Lagern arbeiten. 1951 kehrte er in die DDR zurück. |
Karl-Marx-Gedenkstätte in Alt-Stralau. Hier wohnte Karl Marx 1837 einige Monate bei dem Fischer und Caffetier August Gottlieb Köhler in Stralau Nr. 4, heute Alt-Stralau 18. |
Karl Marx als Student 1836
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Führung zur Kiezgeschichte
um die alte Tilsiter Straße
und den Petersburger Platz
Sonnabend, 26. Oktober 2019, 15.00 Uhr
Löwestraße Ecke Mühsamstraße
Mit dem Historiker Wanja Abramowski
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Einladung
zur Wiedereröffnung der Ausstellung "Miete am Boxi von Kaiser Wilhelm bis Kanzlerin Merkel"
am Mittwoch, dem 24. Oktober 2018, 18.00 Uhr im Familien- und Bildungszentrum Famox,
Scharnweberstraße 23 in Friedrichshain
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1907. 37 Kinder vor dem Haus Gürtelstraße 37. Die Straße war ihr Spielplatz.
1944. Gräfin Therese Henckel von Donnersmarck bereichert sich im Auftrag ihrer Familie unrechtmäßig an dem
Haus Grünberger Straße 75, das zuvor in jüdischem Besitz war. Warum dreht der Regisseur Florian Henckel von
Donnersmarck über diese interessante Familienstory keinen Film, denn es war nicht das einzige jüdische
Wohnhaus in Friedrichshain, das sich die Familie Henckel von Donnersmarck unter den Nagel riss und damit
ihren blutigen Reichtum vermehrte?
1912. Knorrpromenade, die Wohnstraße wohlhabender Kaufleute. Schon 1932 wählte die Knorrpromenade zu 37 Prozent NSDAP, während diese Partei in den umliegenden Arbeitergebieten nur einen halb so hohen Wähleranteil von 18 bis 20 Prozent erzielte.
1947-2006. Beispiel der Mietentwicklung in der Gabriel-Max-Straße 3 auf Euro-Basis
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Friedrichshainer Armenfriedhof ein Massengrab?
Stadtentwicklungsbehörde von Skandal-Senator Andreas Geisel (SPD)* verbreitet Falschmeldungen
In einer Pressemitteilung vom 5. Dezember 2016 (siehe unten) bricht die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz unter der Nochleitung des Skandal-Senators Andreas Geisel (SPD) erstmals ihr Schweigen zu den mehr als neunmonatigen Ausgrabungen des größten historischen Berliner Armenfriedhofes an der Friedrichshainer Friedenstraße und Pufendorfstraße mit einer Gesamtbelegungszahl von bis zu 50.000 Gräbern.
Existenz und Lage des Armenfriedhofes waren den zuständigen Senatsbehörden, dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg und dem Investor seit Jahrzehnten bekannt, z. B. durch ein Schreiben des Friedrichshainer Geschichtsvereins. Dennoch wird seit Anfang des Jahres 2016 die Öffentlichkeit über diesen ehemaligen städtischen Friedhof systematisch und bewusst falsch informiert und in die Irre geführt.
Die erste Lüge: "Es gibt keinen Armenfriedhof."
So hieß es im Beschluss DS/2108/IV der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg am 16. März 2016 auf Seite 37: "Es ist nicht bekannt, dass der Berliner Armenfriedhof auch westlich der Pufendorfstraße liegt.", obwohl zur gleichen Zeit westlich der Pufendorfstraße die archäologische Ausgrabung (Bild 1) des Armenfriedhofs begann. Das ist an Dreistigkeit nicht zu überbieten.
Dabei handelt es sich um jenes Baugrundstück des Hamburger Investors B & L (Grundstücksgesellschaft Friedenstraße mbh & Co. in Hamburg), das bereits im Jahr 2015 wegen des flächendeckenden Abrisses der denkmalgeschützten Bausubstanz des Böhmischen Brauhauses zu Unmut, Kritik und Bürgerprotesten führte. Der damalige Abriss der alten Mälzerei, des Sudhauses, der Darren, des Maschinen- und Kesselhauses und der zweigeschossigen Brauereikeller von 1868 wurde von der Senatsverwaltung des Senators Andreas Geisel massiv gedeckt und unterstützt. Das Landesdenkmalamt bezeichnete die Denkmalzerstörung (Bild 2 und Bild 3) und den Abriss als "Neugestaltung".
Durch Ignoranz und Leugnen der Existenz des Friedhofes unterbanden die Senats- und Bezirksbehörden im Interesse des Investors die öffentliche Meinungsbildung und Information und damit jeden kritischen Widerspruch. Auf Initiative des Friedrichshainer Geschichtsvereins Hans Kohlhase e.V. konnte zum Tag des offenen Denkmals im September 2016 ein Fenster zu dieser Grabung geöffnet werden, nachdem der Geschichtsverein im April 2016 den Armenfriedhof als Objekt für diesen Denkmalstag angemeldet hatte und dadurch zumindest eine Außenbesichtigung des Armenfriedhofes/Baugrundstückes nicht mehr abzuwenden war.
Die zweite Lüge: "Es gibt keine Einzelgräber."
Als dem Investor im November 2016 erneut Aktivitäten des Friedrichshainer Geschichtsvereins hinsichtlich des würdelosen Umgangs mit dem Armenfriedhof bekannt wurden - denn der Geschichtsverein hatte inzwischen Informationen erhalten, dass der Friedhof bei den Ausgrabungen wie ein einziges Massengrab, also ein bloßer Knochenberg, aber nicht als Ruheort tausender Individuen mit Einzelgräbern behandelt wird - trat der Investor die Flucht nach vorn an. Eine von ihm veranlasste Pressekampagne von Berliner Zeitung, Berliner Kurier, Berliner Morgenpost, Berliner Woche, RBB, einiger privater Web-Seiten, unterstützt von der Senats-Pressemitteilung vom 5. Dezember 2016, verbreitet die in einigen Einzelfällen unbestrittene, aber generalisierend unwahre Darstellung, "dass nicht Einzelgräber angelegt wurden, sondern Gräben, in die dicht an dicht Holzkisten verbracht wurden" (Pressemitteilung). Zwar vermeidet die Pressemitteilung den Begriff "Massengrab", aber mit dem Bestreiten von Einzelgräbern, der Verwendung des Begriffs „grüne Wiese“ und der Behauptung, der Armenfriedhof sei in seiner Belegungszeit nicht als Friedhof mit Individual-Grabkultur erkennbar gewesen, wird der Friedhof zum anonymen Massengrab. Karin Schmidl von der Berliner Zeitung, die schon häufig für Grundstückseigentümer, Investoren, den Senat und das Bezirksamt wohlgeschönte Berichte fabrizierte, brachte es auf den Punkt: "Es gibt keine Einzelgräber" auf dem Armenfriedhof. (Berliner Zeitung, 6.12.2016, S. 16).
"Auf dem Armenfriedhof gab es keine Einzelgräber, sondern Gräben mit Holzkisten. In ihnen befanden sich mindestens fünf Tote" schreibt auch die "Berliner Woche" am 10. Dezember. Kontextual ist das falsch und typisch "postfaktisch", d.h. Tatsachen ignorierend und offensichtliche Lügen als "gefühlte" Wahrheit akzeptierend, denn faktisch sind die meisten Leichen in Einzelgräbern (Bild 4, Bild 5, Bild 6, Bild 7, Bild 8) bestattet worden. Die Medien wiederholen unkritisch die Pressemitteilung des Senats und verlieren damit ihre Unabhängigkeit.
Folgt man der Logik und dem Text der Pressemitteilung, müsste auch der Friedhof der Märzgefallenen an der Landsberger Allee ein Massengrab sein, denn auf ihm wurden an einem einzigen Tag, dem 22. März 1848, in vier länglichen Doppelgrabreihen (Bild 9), in die dicht an dicht Särge verbracht wurden, 183 Revolutionsopfer beigesetzt. Auch auf diesem Friedhof ist die "Ordnung" der Gräber durch Umbettungen, Fehlgräber, Nachbestattungen, Verlust der Grabmarkierungen, Umschreibungen und Oberflächenplanierungen inzwischen verloren gegangen. Auch dieser Friedhof ist ein Armenfriedhof, denn die Mehrheit der Hinterbliebenen der bestatteten Revolutionskämpfer hatte nicht einmal das Geld für ein einfaches Grabkreuz aus Holz, genau wie auf dem Armenfriedhof Friedenstraße. Der Friedhof der Märzgefallenen soll jedoch nach dem Willen der SPD (Paul-Singer-Verein), die die Märzrevolution und diesen Friedhof als antirevolutionäre Partei zu Unrecht vereinnahmt hat, mit einer spekulativen Individual-Friedhofskultur für Parteipropagandazwecke umgestaltet und genutzt werden.
Die dritte Lüge: "Mit den sterblichen Überresten wird würdevoll umgegangen."
Die Aussage, es gäbe keine Einzelgräber (Bild 6) auf dem Armenfriedhof, ist eine eindeutige Verfälschung seiner Geschichte. Sie entwürdigt nicht nur erneut diesen in der Stadtgeschichte Berlins geschmähten und vernachlässigten Friedhof, weil er den dort bestatteten Menschen die oft vielgerühmte "Selbstbestimmtheit" aber auch ein kollektives Gedenken abspricht. Eine bessere Einladung zum würdelosen Umgang mit den Gebeinen der unteren sozialen Klasse kann es nicht geben, denn mit einem vorgefundenen Knochenberg kann der Investor anders umgehen als mit tausenden Einzelgräbern, nämlich kostengünstiger und nicht so aufwändig wie bei der archäologischen Suche nach den drei Kurfürsten-Gräbern von Johann Cicero, Joachim I. und Joachim II. auf dem Schlossplatz, den Ahnherren der heutigen Eliten. Nach ihrer Bergung auf dem Armenfriedhof drängeln sich meist mehrere Skelette in einem handelsüblichen Umzugskarton. Vorgeschrieben sind jedoch individuelle Gebeinskisten. Eine Wiederbestattung auf dem Friedhof in Plötzensee kann sich dann an den ursprünglichen Kosten für eine Armenbestattung im 19. Jahrhundert orientieren, die damals 8,77 Mark, umgerechnet 56,13 Euro kostete. Seit Oktober 2016 wird bei der Bergung und Lagerung der Skelette das Prinzip der Würde des einzelnen Individuums missachtet, denn bis zu fünf Individuen werden vermengt in einen Umzugskarton (Bild 10, Bild 11, Bild 12) gelagert. Um dies zu vertuschen erfolgte die Pressemitteilung vom 5. Dezember im Interesse des Investors.
Die vierte Lüge: "Der Friedhof bleibt für immer erhalten."
Der Armenfriedhof an der Friedenstraße war der wohl ungewöhnlichste Friedhof im vormodernen Berlin. Seine von der Cholera geschriebene Entstehungsgeschichte machte aus ihm einen mythischen Ort. 1837, als sie erneut ausbrach, fielen ihr 2.338 Einwohner zum Opfer, immerhin ein Prozent der Bevölkerung, denn die Stadt hatte damals 234.000 Einwohner. Berlin stand unter Schock. Die Cholera war in allen Straßen und Gassen zu Hause und das Unglück schweißte die Bevölkerung in ihrer Trauer zusammen. Weil der Krankheit mit ihrer damals unbekannten Ursache und der hohen Sterblichkeit etwas Grauenhaftes anhing, hier zunächst fast alle Beerdigungen stattfanden, zugleich das Ritual der Beerdigungen durchbrochen wurde, nur nächste Angehörige waren zugelassen, nachts beerdigt wurde, und der Friedhof die Berliner schicksalshaft vereinte, sah sich der Magistrat bei dem Ausmaß der Katastrophe, die die Stadt heimgesucht hatte, zu der Zusicherung einer immer währenden Totenruhe veranlasst. Er versprach den dauerhaften Bestand des Friedhofs.
Um ein Haar wäre sogar der preußische Staatsphilosoph Friedrich Wilhelm Hegel auf dem Cholerafriedhof gelandet, denn er starb am 14. November 1831 an der Cholera, wie die Ärzte und Zeitungen meldeten. Aber schon in jener Zeit schrieb die Presse nicht immer die Wahrheit, obwohl es bei Hegel durchaus die Wahrheit war und so wurde er post mortem doch noch von der Cholera befreit, um standesgemäß auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof zur Ruhe zu kommen und nicht in das Massengrab des Cholerafriedhofes, denn in den Cholerajahren wurden tatsächlich oft Massenbestattungen vorgenommen.
Als der Armenfriedhof (1831) 1840 eröffnet wurde und immer wieder bis weit in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein, hatte der Berliner Magistrat den Hinterbliebenen der hier Bestatteten versprochen, "daß der Kirchhof für immer erhalten bleibe". Ähnlich wie der Friedhof der Märzgefallenen war der Armenfriedhof der Begräbnisort der unteren sozialen Klassen, der Arbeiter, Dienstmädchen, Handwerker, kleinen Ladenbesitzer, Geschäftsleute, Lehrer und auch niederer Beamter. Die asoziale Arroganz der Oberschichten gegenüber diesen Menschen und ihren beiden Friedhöfen im heutigen Friedrichshain kann man vor Ort gut besichtigen. Auf dem Friedhof der Märzgefallenen stehen noch 24 individuelle Grabdenkmäler bei ursprünglich etwa 250 Gräbern, an den Armenfriedhof erinnert nichts mehr.
Die evangelische Kirche leitete zusammen mit ihrem Kaiser Wilhelm II. und der Stadtverordnetenversammlung den Bruch des Magistratsversprechens durch den Bau der monströsen Auferstehungskirche in den Jahren 1892-95 mitten im Zentrum des Armenfriedhofes ein und ließ dafür ca. 8.000 kaum verweste Leichen unter fürchterlichem Gestank, der die ganze Wohngegend überzog, ausgraben. Straßenumverlegungen und der Bau von zwei Schulen folgten vor 1900. In DDR-Zeiten wurde ein Umspannwerk und das Schwesternheim an der Pufendorfstraße errichtet und 2017 sollen weitere Wohnbauten folgen. Aber auch auf dem nahe gelegenen Sportplatz und an der Diestelmeyerstraße bleibt noch einiges zu tun. Hier liegt noch viel Bauland brach und einige tausend Leichen warten unter der Erde auf die Aufwertung dieser Immobilie, denn sie wissen, was ein Versprechen der Upper class an das übrige Volk wert ist.
Eine umfassende Geschichte des Armenfriedhofes mit seiner genauen Lagebeschreibung (Bild 13) erschien im Februar 2012 unter dem Titel "Eine Kirche auf Knochen der Armen" in der Zeitschrift "mont klamott" Nr. 85 des Friedrichshainer Geschichtsvereins Hans Kohlhase e.V. Die Publikation ist in der Landeszentralbibliothek einsehbar. Schon diese Veröffentlichung belegte die Einzelgrabkultur auf dem Armenfriedhof aus den Akten des Landesarchivs heraus.
Am 18. März 2015 erhielt die Untere Denkmalschutzbehörde Friedrichshain vom Friedrichshainer Geschichtsverein Hans Kohlhase e.V. in einem Telefongespräch aktuelle Informationen über diesen Armenfriedhof und seine Lage auf dem Baugrundstück des Hamburger Investors B & L mit dem Gelände des ehemaligen Böhmischen Brauhauses an der Landsberger Allee, Matthiasstraße, Pufendorfstraße, Friedenstraße.
Erst 2014 hat die Stadt Berlin dem Investor B & L (Grundstücksgesellschaft Friedenstraße mbh & Co. in Hamburg) jene Grundstücke an der Pufendorfstraße veräußert, die den westlichsten Teil des ehemaligen Armenfriedhofes bilden und die der Investor unbedingt zur Ausführung seines exzessiven, gegen die dort wohnenden Friedrichshainer gerichteten Bauprojektes benötigte. Die Stadtverwaltung Berlin verkaufte also erst vor wenigen Jahren den Armenfriedhof an einen Immobilienkapitalisten und sie verbindet daher mit ihm das Interesse, die Ausgrabung und Umbettung dieses umfangreichen Gräberfeldes von ca. 2.000 Bestattungen möglichst geräuschlos abzuwickeln. Zu diesem Zweck wurde eine Informationssperre über die bevorstehende Ausgrabung des (Teil-) Armenfriedhofes zwischen dem Investor B & L und der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vereinbart. Es ist unvorstellbar, dass der Senator Andreas Geisel von diesem Vorgang keine Kenntnis hatte.
Inzwischen wird versucht, dem Friedrichshainer Geschichtsverein ein unverbindliches Diskussionsangebot zu den Ausgrabungen des Armenfriedhofes zu machen. Dass es von denjenigen kommt, die bislang mit einem Schweigegelübde ihrem Investor folgten, macht es unglaubwürdig.
Die Auseinandersetzung um den Friedrichshainer Armenfriedhof ist im Wesen keine Frage der ordentlichen Gebeinskisten oder der korrekten Bezeichnung historischer Sachverhalte, sondern der Gewissenlosigkeit der städtischen Eliten durch ihre rücksichtslose Interessenbindung an unbegrenzte wirtschaftliche und politische Macht.
Andreas Geisel und seine Partei, die SPD, haben auch in dieser Auseinandersetzung gezeigt, dass sie längst nicht mehr an der Seite der einfachen Leute, der "Armen", stehen.
* Andreas Geisel hat als Senator und führendes SPD-Mitglied mehrfach seine Nähe zu
Immobilienunternehmen und deren Bevorteilung sowie undurchsichtige Vorteilsnahme für seine Partei bewiesen. Der Begriff des Skandal-Senators kommt aus den Reihen seiner eigenen Partei. Die Jungsozialisten verbanden auf ihrer Landeskonferenz im Oktober 2016 seinen Namen mit dem fast wöchentlichen Auftreten eines Skandals.
Hier der Text der Senats-Pressemitteilung:
"Archäologische Grabung auf dem ehemaligen Armenfriedhof an der Pufendorfstraße in Berlin-Friedrichshain"
05.12.16, Pressemitteilung
Seit Juli 2016 werden die auf dem künftigen Baugrundstück an der heutigen Pufendorfstraße erhaltenen menschlichen Bestattungen des ehemaligen städtischen Armenfriedhofs freigelegt, dokumentiert und geborgen. Die Grabung wird 2017 fortgeführt. Wie im Berliner Denkmalschutzgesetz festgelegt, trägt der Investor und Grundstückseigner die Kosten der Grabung und der Wiederbeisetzung der Gebeine. Zuständig für die archäologische Grabung sind das Landesdenkmalamt Berlin und die bezirkliche Untere Denkmalschutzbehörde.
[Es folgt ein ortsfremdes Foto mit Text: Freigelegte Bestattungen bei archäologischen Untersuchungen im Bereich der Dorfkirche Alt-Friedrichsfelde, Foto: R. Bräunig]
Nach Abschluss der Grabung und Untersuchung ausgewählter Skelette werden die Gebeine auf dem Friedhof in Plötzensee, Dohnagestell 4, beigesetzt. Ein kleiner Teil wird für spätere Untersuchungen im Depot der Berliner Bodenfunde eingelagert.
Der Armenfriedhof wurde von 1832 bis 1881 mit Bestattungen belegt. Neu und aufschlussreich ist, dass das Gelände für Bestattungen wenig geeignet war. Es wies nach Nordwesten einen steilen Anstieg auf, der durch die in den lehmigen Boden eingegrabenen Terrassen ausgeglichen worden war, um darin Grabgruben anlegen zu können.
In einem Teil des Friedhofs wurden Überreste von Anatomieleichen vorgefunden. Epidemien in der Stadt führten dazu, dass die Zahl der Sezierungen (Leichenöffnungen) Verstorbener deutlich anstieg. Diese Untersuchungen wurden bevorzugt in der Berliner Charité vorgenommen, die sich im 19. Jahrhundert zu einem führenden Zentrum der Humanmedizin entwickelt hatte. Die Bestattung solcher Leichen übernahm die Stadt Berlin bzw. die Kirchgemeinde auf eigene Kosten. Dieser Umstand führte dazu, dass nicht Einzelgräber angelegt wurden, sondern Gräben, in die dicht an dicht Holzkisten verbracht wurden. In diesen Holzkisten wurden mindestens 5 Personen bzw. Teile davon (Überreste von Sezierungen) beigesetzt. Hinzu kommt, dass die Gräber des Friedhofs und die Holzkisten ohne Deckel keine Kennzeichnung oder Grabmarkierung aufwiesen, so dass sich das Gelände für Außenstehende nicht als Friedhof sondern als „grüne Wiese“ darstellte.
Mit Beginn des 19. Jahrhunderts entstand ein Bedarf an großen Armenfriedhöfen. Für das Jahr 1831 ist eine Cholerawelle in Berlin überliefert, der unzählige Menschen zum Opfer fielen. Aus Angst vor Ansteckung und in Unkenntnis über die Ursachen der Krankheit wurden die Verstorbenen außerhalb der damaligen Stadt beigesetzt. Der Berliner Magistrat erwarb dafür 1822 Land vor dem Landsberger Tor, um es als Begräbnisstätte u.a. für solche Opfer nutzen zu können. Der ab 1832 als Armenfriedhof bezeichnete Begräbnisort war fortan der größte Begräbnisplatz dieser Art in Berlin. Bereits vor der offiziellen Schließung des Friedhofs 1881 entstand 1868 an dessen nordwestlichen Grenze das Böhmische Brauhaus, das innerhalb von zehn Jahren die größte Brauerei Berlins wurde. Wenig später wurde die heutige Pufendorfstraße bebaut, weshalb der hier gelegene Friedhof aus dem Stadtbild verschwand. Aufgrund günstiger Umstände haben die Gräber, die besonders tief lagen, bis heute überdauert."
Quelle:
http://www.stadtentwicklung.berlin.de/aktuell/pressebox/archiv_volltext.shtml?arch_1612/nachricht6275.html
Folgende Falschdarstellungen zeigen im Einzelnen, dass es sich bei dem Text der Pressemitteilung vom 5. Dezember nicht um einzelne versehentliche Fehler handelt, sondern um eine systematische Fehlinformation der Öffentlichkeit, um einer ganzen sozialen Klasse generell die individuelle Totenkultur abzusprechen und sie außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft zu stellen. Der Großbürger und Schriftsteller Julius Rodenberg hat dagegen 1880 bei seinem Besuch des Armenfriedhofes feinsinnigere Beobachtungen gemacht.
Senats-Pressemitteilung v. 5.12.2016, Textstelle 1:
"Seit Juli 2016 werden die auf dem künftigen Baugrundstück an der heutigen Pufendorfstraße erhaltenen menschlichen Bestattungen des ehemaligen städtischen Armenfriedhofs freigelegt, dokumentiert und geborgen."
Diese Behauptung ist unwahr.
Tatsächlich begannen die Ausgrabungen mit einer Sondage am 17. März 2016 zu einem Zeitpunkt, als die Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg öffentlich am 16. März 2016 erklärte, dass sich an diesem Ort kein Armenfriedhof befände, obwohl eine eindeutige historische Kartierung und Fachhinweise durch den Friedrichshainer Geschichtsverein Hans Kohlhase e.V. (siehe unten, Schreiben v. 7.10.2015) das Gegenteil bewiesen und den Behörden vorlagen. Die Bezirksverordnetenversammlung behauptete dagegen bewusst fälschlich: "Es ist nicht bekannt, dass der Berliner Armenfriedhof auch westlich der Pufendorfstraße liegt."
Senats-Pressemitteilung v. 5.12.2016, Textstelle 2:
"Epidemien in der Stadt führten dazu, dass die Zahl der Sezierungen (Leichenöffnungen) Verstorbener deutlich anstieg."
Diese Behauptung ist unwahr.
Ein deutlicher Anstieg der Anatomieleichen ist auf dem Armenfriedhof quellenmäßig nicht belegbar. So fanden 1880 bei 2.910 Bestattungen insgesamt 299 Sektionen statt, während es 1868 bei 762 Bestattungen 231 Sektionen waren. 1877 waren es bei 1.622 Bestattungen sogar nur 174 Anatomieleichen. Eine Epidemie spielte dabei keine Rolle. Jährlich wurden etwa 200 bis 300 Armen-Leichen für anatomische Zwecke seziert.
Die Epidemie-, d.h. Cholerabestattungen auf dem Armenfriedhof werden zudem von der gegenwärtigen archäologischen Grabung nicht erfasst, da diese Bestattungsjahrgänge in einem anderen, entfernteren Teil des Friedhofs liegen.
Mit einer zahlenmäßigen Überbewertung der Anatomieleichen, abweichend von der tatsächlichen Funddokumentation der Archäologen, die jedes einzelne Grab fotografieren und nummerieren, schafft die Senatsverwaltung die Argumentationsgrundlage für ein nicht mehr differenzierbares "Massengrab", das als solches jedoch nicht existiert. Die Pressemeldungen in der Berliner Zeitung und im Berliner Kurier (online, 29.11. und 30.11.2016) unter dem Schlagwort "Massengrab" und einer bis auf 4.000 Skelette überhöhten Gräberzahl wirken suggestiv in dieselbe Richtung einer massenhaften Anzahl von Toten, deren Individualität vernachlässigt werden könne. Bis zum 12. Dezember wurden 1.277 Skelette geborgen und nicht 3.000, wie die "Berliner Woche" mit Berufung auf die Archäologen behauptete. Es ist noch mit etwa 500-600 Gräbern zu rechnen, falls nicht doch noch eine zweite Grablage entdeckt wird, was nicht auszuschließen ist, jedoch von den Archäologen bislang verneint wurde. Nur beim Auffinden der zweiten Grablage, die hier ursprünglich existierte, wäre eine Bergungszahl von 3-4.000 Skeletten erreichbar.
Senats-Pressemitteilung v. 5.12.2016, Textstelle 3:
"Diese Untersuchungen wurden bevorzugt in der Berliner Charité vorgenommen, die sich im 19. Jahrhundert zu einem führenden Zentrum der Humanmedizin entwickelt hatte."
Diese Einschätzung verschweigt den unsozialen Leichenhandel im Preußen des 19. Jahrhunderts.
Durch wissenschaftliche Studien (Olaf Briese, Angst in den Zeiten der Cholera. Seuchen-Cordon, Berlin 2003) ist längst erwiesen, wie autoritär-undemokratisch der Fortschritt der Humanmedizin in Preußen war, wo der verstorbene Arme "zum bloßen materiellen Substrat" (Briese, S. 175, kritisch), zum "Cadaver" (inhumane Fachsprache des Berliner Humanmediziners Dr. Albert Sachs, 1831) schrumpfte. Während im damaligen England eine demokratische Öffentlichkeit den staatlichen Leichenraub von den Friedhöfen problematisierte, flackerte in Berlin nur selten Protest auf, so Ende September 1831 als es zu gewalttätigen Angriffen gegen Leichentransporte von Armen kam, die zur Obduktion gebracht werden sollten. Olaf Briese spricht völlig zurecht von einer "bürokratisch-medizinischen Form der Leibeigenschaft", während die Pressemitteilung den Aufstieg der Charité zum führenden Zentrum der Humanmedizin beschreibt. Dass es sich hier nicht allein um die ethische Haltung gegenüber Toten handelt, zeigt auch die Begriffsentwicklung, die in den deutschen Eliten und nicht nur beim Militär weit vor dem Ersten Weltkrieg das Wort "Menschenmaterial" hervorbrachte.
Senats-Pressemitteilung v. 5.12.2016, Textstelle 4:
"Die Bestattung solcher Leichen übernahm die Stadt Berlin bzw. die Kirchgemeinde auf eigene Kosten."
Diese Behauptung ist bezüglich der Kirchengemeinden unwahr.
Die Bestattungskosten trugen auch auf dem Armenfriedhof grundsätzlich zunächst die Angehörigen, jedoch in Fällen der Unbemitteltheit die Stadt Berlin. Diese Fälle der sogenannten "Freibegräbnisse" überwogen allerdings bei Weitem, sodass die Bestattungskosten wahrscheinlich in etwa 80 bis 90 Prozent von der Stadt getragen wurden, der Rest von Privatpersonen.
Die "mildtätigen" Kirchengemeinden übernahmen dagegen keine Bestattungskosten auf dem städtischen Armenfriedhof, denn dieser Kosten haben sie sich als gute Geschäftsleute schon im frühen 18. Jahrhundert gegenüber dem preußischen Staat bzw. der Stadt Berlin wohlweislich entledigt, indem sie die unprofitablen, weil nur Kosten und keine Einnahmen verursachenden Armenbestattungen outgesourct hatten. Erst durch das schäbige Verhalten der protestantischen Staatskirche entstanden überhaupt die städtischen Armenfriedhöfe.
Senats-Pressemitteilung v. 5.12.2016, Textstelle 5:
"Dieser Umstand führte dazu, dass nicht Einzelgräber angelegt wurden, sondern Gräben, in die dicht an dicht Holzkisten verbracht wurden. In diesen Holzkisten wurden mindestens 5 Personen bzw. Teile davon (Überreste von Sezierungen) beigesetzt."
Diese Behauptung ist unwahr, lediglich einige wenige archäologische Befunde belegen diese Verfahrensweise.
Die überwiegende Bestattungsart auf dem Armenfriedhof war, wie auf den benachbarten kirchlichen Friedhöfen, die Einzelbestattung in einer Sarg-Holzkiste mit Deckel in einfachster Ausführung und nur in einigen wenigen Fällen in massengrabähnlichen Langgruben, jedoch mit einer Individualeinhausung des Toten. Der Verlust von Sargabdeckungen ist entweder durch pflichtwidrige aber kostengünstige Bestattungen entstanden oder durch spätere Bodenstörungen in Folge von Bautätigkeit, Landschaftsplanierungen usw.
Lediglich bei einigen Anatomieleichen, die nicht mehr als Individuen anzusehen waren, erfolgte eine Gruppenbestattung. Dieser Anteil von Mehrfach- bzw. Mischbestattungen kann nach der Quellenlage nur einen Anteil von ungefähr 17 Prozent erlangt haben, so hoch war in einzelnen Jahrgängen der Anteil der Anatomieleichen.
Um den finanziellen und Arbeitsaufwand bei den "Freibegräbnissen" für mittellose Verstorbene drastisch zu reduzieren, wurden diese Toten auch in Gruppen, also in Gemeinschaftsgräbern wie auf dem Friedhof der Märzgefallenen bestattet. Die minimalen Normen einer individualen Bestattungskultur, nämlich in einer einzelnen einfachen Holzkiste für jede Leiche, wurden so eingehalten. Die Identität des Verstorbenen wurde namentlich vermerkt, blieb gewahrt und wurde oberirdisch markiert. Die Markierungen sind in den 1880er Jahren verschwunden. Dieser Befund des Gräberfeldes wurde im September 2016 beim Tag des offenen Denkmals von den Archäologen vorgestellt. Vereinzelt auftretende ununterscheidbare Mehrfachbestattungen, also das "klassische" Massengrab, wurden von ihnen richtiger Weise als Ausnahme bezeichnet.
Dass gerade diese Ausnahmeerscheinung von der Senatsverwaltung zum Normalfall der angetroffenen Bestattungen erklärt wird, führt zum eigentlichen Sinn der Pressemitteilung, die den Armenfriedhof de facto zu einem einzigen Massengrab erklärt und damit den Umgang mit den Gebeinen a priori als eine nicht mehr differenzierungsfähige Knochenmenge festlegt. Dies ist würdelos. Die enge Belegung mancher Grabreihen mit Holzkisten kann für sich allein noch kein Massengrab begründen. Lediglich die Bestattung einzelner Leichenteile der Anatomieleichen in einem Bestattungsvorgang ist als Massengrab anzuerkennen. Sie erreicht nicht einmal einen Anteil von einem Fünftel an den Bestattungen. Sofern ein Einzelgrab im Boden ergraben wird, ist es als solches einzeln zu bergen, zu lagern und umzubetten. Seit Oktober 2016 werden die Einzelbestattungen jedoch vermischt und bis zu fünf Individuen werden in einem Umzugskarton gelagert.
Senats-Pressemitteilung v. 5.12.2016, Textstelle 6:
"Hinzu kommt, dass die Gräber des Friedhofs und die Holzkisten ohne Deckel keine Kennzeichnung oder Grabmarkierung aufwiesen, so dass sich das Gelände für Außenstehende nicht als Friedhof sondern als „grüne Wiese“ darstellte."
Diese Behauptung ist unwahr.
In seiner Belegungszeit zwischen 1831 (spätestens jedoch ab 1840) und 1881 war der Friedhof deutlich an seinen Grenzen durch Zäune, Hecken, Bretterwände, Beschriftung und in wenigen Fällen auch durch Grabkreuze, Grabdenkmäler und durch sandige Grabhügel markiert, deren Nichtbewuchs nicht einmal durch Rasen von den Angehörigen im 19. Jahrhundert immer wieder gegenüber dem Magistrat kritisiert wurde. Eine Wiese hat auf dem Armenfriedhof schon aus Kostengründen nicht bestanden. Julius Rodenberg hat hier bei seinem Besuch im Jahr 1880 "hunderte von namenlosen Gräbern" gesehen, "ohne Hügel, ohne Rasen, Grab flach neben Grab, jegliches mit einem schwarzen Pfahl zu Häuptern und einer Nummer daran ... selten ist ein Kreuz von Eisen." Wenn dem Armenfriedhof der Charakter einer "grünen Wiese" zugeschrieben wird, so ist das blanker Zynismus, denn die grüne Wiese ist in der heutigen Friedhofslandschaft gerade in den Städten Ausdruck einer freigewählten Anonymität. Der Armenfriedhof und seine "Bewohner" kannten diese Erfahrung des Alleinseins nur als Zwang und Ausgrenzung. Sie war nicht selbstbestimmt. Die Gräber auf dem Armenfriedhof waren oft ungepflegt, aber durch Markierungen erkennbar, im Gegensatz zur Behauptung der Senatsverwaltung. 1837, also noch zur Zeit des Cholerafriedhofes, existierten bei mindestens 1.500 Gräbern 75 Holzkreuze, 35 eiserne Kreuze, 2 Eisengitter und jeweils ein Marmor- und ein Steindenkmal sowie die einzelnen Grabmarkierungen. Hier war keine "grüne Wiese". Der Friedhof war arm und vom städtischen Totengräber weitgehend vernachlässigt, aber als Friedhof eindeutig erkennbar. Die von der Senatsverwaltung aufgezwungene Anonymität setzt den herabwürdigenden Umgang mit dem Armenfriedhof zur Zeit seiner Belegung im 19. Jahrhundert in der Gegenwart nur konsequent fort.
Hinzu kommen zwei weitere Ungenauigkeiten:
Senats-Pressemitteilung v. 5.12.2016, Textstelle 7:
"Der Armenfriedhof wurde von 1832 bis 1881 mit Bestattungen belegt."
Diese Behauptung ist ungenau.
Auf dem späteren Armenfriedhof fand bereits am 1. September 1831 die erste Beerdigung des ersten Berliner Cholera-Toten statt. Bis zum Jahresende 1831 erfolgten auf dem damaligen "Cholera-Kirchhof" mindestens 1.426 Beerdigungen. Dagegen waren die Jahre 1833, 1834, 1835, 1836, 1838, 1839 wegen des Ausbleibens der Cholera bestattungsfrei.
Senats-Pressemitteilung v. 5.12.2016, Textstelle 8:
"Der ab 1832 als Armenfriedhof bezeichnete Begräbnisort war fortan der größte Begräbnisplatz dieser Art in Berlin."
Diese Behauptung ist ungenau.
Der Friedhof wurde 1831 überstürzt als "Cholera-Begräbnisplatz" angelegt und so bezeichnet und anschließend in den 1830er Jahren je nach Auftreten der Cholera intervallmäßig mit Cholera-Toten belegt. Erst am 3. Februar 1840 wurde er erweitert und als der "neue Armen-Begräbnißplatz" eröffnet und bezeichnet.
Er hieß übrigens nur bis 1874 "Armen-Kirchhof", danach "Städtischer Begräbnisplatz".
1881 wurde der Friedhof geschlossen.
Friedrichshainer Geschichtsverein Hans Kohlhase e.V.
an das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin, 7.10.2015
Einwand gegen die Bebauungspläne V-1-1 „An der Mälzerei “und V-1-2 „Friedrichshain-Höfe“ in Friedrichshain, gegen das Planungsdiktat von Grünen und SPD in Friedrichshain,
für ein menschengerechtes Wohnen am alten Armenfriedhof Friedenstraße - Landsberger Allee, für die Erhaltung des Denkmalensemble-Restes Böhmisches Brauhaus Friedenstraße - Pufendorfstraße - Landsberger Allee:
"Das Areal des alten Berliner Armenfriedhofs, das sich ursprünglich von der Friedenstraße bis zum Nordrand des Sportplatzes und von der Friedhofsmauer an der Diestelmeyerstraße bis zur Bauflucht des Böhmischen Brauhauses, also etwa 25 Meter westlich der Pufendorfstraße erstreckte, soll im Bereich der westlichen Pufendorfstraße gänzlich unbebaut bleiben.
Die Stadt Berlin hatte diesen Armenfriedhof von 1831 bis 1881 angelegt. Hier wurden mehr als 40.000 Menschen aus den untersten Volksschichten bestattet, ohne dass heute irgendein Zeichen an das Schicksal dieser Menschen erinnert, die im Leben wie im Tode nur als Randerscheinung wahrgenommen werden. Bei einer Vollbebauung entlang des Blockrandes der westlichen Pufendorfstraße wird dieser Friedhof mit seinen Grablagen freigelegt werden. Er ist wie jeder Friedhof als Bodendenkmal zu behandeln und steht auch ohne Denkmalschutzerklärung per se unter gesetzlichem Denkmalschutz.
Menschlich und kulturell wäre es endlich angebracht, wenn die Stadt Berlin an diesem von ihr vergessenen Ort ein Erinnerungssymbol errichten würde. Die Nichtbebauung dieses Teils des Friedhofes könnte dafür ein Ausgangspunkt sein."
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Bild 1
In voller Kenntnis der Lage des ehemaligen Armenfriedhofes begann am 17. März 2016 an seiner Nordgrenze eine archäologische Suchgrabung, die zur Bergung von acht Skeletten führte. Die Koordinierungen zu diesem öffentlichkeitswirksamen Eingriff in das Gräberfeld zwischen dem Investor, dem Landesdenkmalamt und der archäologischen Grabungsfirma reichen in das Jahr 2015 zurück. Fünf Einzelgrablagen sind erkennbar.
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Bild 2
Abriss des unter Denkmalschutz stehenden Sudhauses des Böhmischen Brauhauses am 31. März 2015 ohne rechtliche Genehmigung, aber mit Duldung des Bezirksamtes und Landesdenkmalamtes.
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Bild 3
Abriss des im Jahr 1868 erbauten zweigeschossigen Brauereikellers des Böhmischen Brauhauses (Denkmalobjekt) an der Landsberger Allee mit Zustimmung des Landesdenkmalamtes, jedoch ohne eine gesetzlich vorgeschriebene Abrissgenehmigung.
Ein Tonnengewölbe war 15 Meter lang, 6 Meter breit und 4,70 Meter hoch. Die Tiefe betrug 14 Meter. Foto: 18. Juni 2015
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Bild 4
Schon die ersten Grabungstage auf dem Gräberfeld des ehemaligen Armenfriedhofes erbrachten den Nachweis von Einzelgräbern. Auf dem Foto vom 4. August 2016 sind neun Gruben von bereits geräumten Einzelgräbern, die keine Berührung zueinander hatten, zu erkennen. Hier wurde demnach nicht in einer Gruppe bestattet.
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Bild 5
Grabfeld im Nordwesten mit eindeutig erkennbaren mind. 146 Einzelgräbern, deren Abstand voneinander meist ca. 30-50 cm beträgt, also keine Dicht-an-dicht-Lage von Holzkisten darstellt, wie die Senatsverwaltung behauptet. Foto: 4. Dezember 2016
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Bild 6
Grabfeld im Nordosten mit mind. 107 Einzelgräbern, deren Abstand voneinander meist ca. 20-30 cm beträgt, auch hier also kein Massengrab. Foto: 8. November 2016
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Bild 7
Die Berliner Zeitung veröffentlichte am 30.11.16, 14:13 Uhr online den Beitrag von Marc Fleischmann: Friedrichshain Massengrab mit bis zu 4000 Skeletten in Wohngebiet entdeckt
(siehe: http://www.berliner-zeitung.de/25195702 ©2016), darin ein
Detailfoto mit fünf noch belegten Einzelgräbern und fünf beräumten Einzelgräbern.
Obwohl der Journalist im Foto Einzelgräber zeigt, schreibt er unter der manipulativen Headline "Massengrab". Da wir ihm keine Dummheit unterstellen, muss es sich um eine gewollte Täuschung der Öffentlichkeit handeln.
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Bild 8
Mittleres, bereits beräumtes Grabfeld mit überwiegend Gruben von Einzelgräbern, jedoch auch Massengräbern an unterer Mitte (Gräber 286-294). Foto: 11. September 2016
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Bild 9
Bei einer Gedenkfeier am 4. Juni 1848 auf dem Friedhof der Märzgefallenen sind im Vordergrund deutlich zwei doppelte Grabreihen zu sehen, die sich über den verfüllten länglichen Grabgruben erhoben. Die Einzelgräber waren in diesem Gemeinschaftsgrab durch einzelne Grabkreuze oder Schilder markiert. Im Hintergrund, verdeckt von der Menge, befanden sich diagonal ebenfalls zwei doppelte Grabreihen. Von der Bestattungsart handelte es sich um Einzelgräber eines Gemeinschaftsgrabes. Illustrierte Zeitung, Juni 1848.
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Bild 10
Einzelgräber, hier Nr. 951-957, sind der überwiegende Befund auf dem ehemaligen Armenfriedhof an der Pufendorfstraße am 14. November 2016.
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Bild 11
Obwohl es sich um Einzelgräber (951-957) handelt, werden die Gebeine in zwei Transportbehältern gelagert, die anschließend in einem Container in Umzugskartons umgefüllt werden. Die Individualität der Toten wird aufgehoben und jetzt erst werden sie zu Toten eines "Massengrabes". Dies ist ein würdeloser Umgang mit den Bestatteten, der seit Oktober zur Praxis bei den Ausgrabungen wurde, dem Investor als Auftraggeber jedoch weniger Kosten bereitet. Foto: 14. November 2016.
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Bild 12
Gräber 283-294 in sehr dichter und alternierender Lage der Gebeine sowie mit undifferenzierbarer Vermengung mehrerer Individuen (Anatomieleichen, Grab 286-294) in situ deuten auf ein Massengrab hin, jedoch sind unten vorn auch Einzelgräber erkennbar (Grab 283, 284). In den Umzugskartons werden jeweils fünf Individuen eingelagert. Foto: 2. September 2016
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Bild 13
Plan des Armenfriedhofes um 1860 mit seiner Erweiterung im Norden (grün) im Jahr 1862, dem westlichen Nachbarn "Böhmisches Brauhaus", dem Parochialkirchhof im Osten, der 1895 angelegten Pufendorfstraße (rot) und der 1891 angelegten Diestelmeyerstraße (rot) und der aktuellen Grabungsfläche 2016-2017 (blau). Im Süden befand sich die Stadtmauer, die 1867 abgerissen und 1875 zur Friedenstraße wurde.
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